Aktive Überwachung bzw. Watchful Waiting
 
Die Prognose des Prostatakarzinoms wird im Wesentlichen von seiner breiten Risikoklassifizierung bestimmt. Es gibt durchaus Krebse, die relativ zum Alter des Patienten so langsam wachsen, dass bei normalem Verlauf mit keinen Metastasen zu rechnen ist und auch trotz des Krebses ein hohes Alter erreicht werden kann. 
Allerdings gibt es zahlreiche Unsicherheiten bei der Diagnostik, die eine eindeutige Zuordnung eines Krebses in weniger aggressiv oder stärker aggressiv  nicht zulassen.

Lange Zeit erhielten auch Patienten mit weniger aggressiven Krebsformen die gleiche Therapie wie die Patienten mit den aggressiveren Krebsformen mit teilweise einschneidenden Komplikationen bzgl. des Wasserlassens, der Kontinenz und der Erektion – viele Patienten wurden auf diese Weise übertherapiert.
Mit diesem Kenntnisstand wurde neben den radikalen Therapiemöglichkeiten wie radikale Prostatektomie und externer Bestrahlung Anfang der 2000er-Jahre das Konzept der Aktiven Überwachung („active surveillance“, kurz: AS") etabliert. Ziel der AS ist es, eine kurative Therapie so lange wie möglich hinauszuzögern – nicht, sie ganz zu vermeiden. 

Durch regelmäßige Kontrollen soll ein Fortschreiten der Erkrankung frühzeitig erkannt werden, die mit Verzögerung dann eingeleitete Therapie sollte idealerweise die gleiche Wirksamkeit wie eine sofort eingeleitete Behandlung haben.

Patienten, die dafür in Frage kommen können, weisen lt. S3-Leitlinie und der aktuellen NCCN Guidelines 2018  folgende Kriterien auf:
  • PSA < 10 ng/ml            und
  • Gleason Score <=6   und
  • T-Stadium cT1c         und 
  • <= 2 positive Stanzbiopsien (von 10-12 entnommenen) 
Das Konzept der Aktiven Überwachung ist aber nicht für jeden Patienten gleichermaßen geeignet: einige können mit der erhöhten psychischen Belastung und dem Wissen um die Krebsdiagnose nicht gut umgehen; andere wiederum versäumen die regelmäßigen weiteren, 6- bis 12-monatlichen Kontrollen bei ihrem Urologen.

Langfristig führt - im Vergleich z.B. zur Radikalen Prostatektomie - das Abwarten zu einer erhöhten Metastasenrate und einer erhöhten Sterblichkeit, dies ist aus der schwedischen Studie von Bill-Axelson et al. (2018) bekannt. 

Eine weitere Schwachstelle ist die Diagnostik selber:
  • Seit langem ist bekannt, daß der Gleason Score in der Biopsie bei etwa einem Drittel der Patienten unterschätzt wird. Denn die Biopsie kann trotz größter Sorgfalt auch mal einen vorhandenen Krebs nicht treffen wenn die Stanzzylinder nicht exakt an den wirklichen Krebsherden entnommen wurden. Bei einer transrektalen Standardbiopsie werden zudem die ganz vorne gelegenen und die apikalen Prostataanteile nicht erfasst.
  • Ein MRT ist bei einem Krebs im Anfangsstadium mit Gleason 3+3=6 oft negativ, erst ab Gleason 3+4 wird die Aussage eindeutiger. 
  • Gleiches gilt für das PSMA-PET/CT, welches in ca. 10 % der Anfangsstadien, aber auch 10 % der hochaggressiven Tumoren negativ ist, d.h. keine PSMA-Anreicherung zeigt.
Wer sich als Patient anfänglich für das Konzept der Aktiven Überwachung entscheidet, muss wissen, daß:
  • der Krebs innerhalb von 1-2 Jahren deutlich aggressiver werden kann (sog. „Upgrading“, „Upstaging“)
  • das Risiko, dass Krebszellen in die Umgebung wachsen (Kapseldurchbruch) von etwa 20% bei der Erstdiagnose auf ca. 40% ansteigen kann.
  • das bei Gleason 3+3=6 so gut wie nie auftretende Risiko einer Fernmetastasierung auf 5-10 % bei Gleason 7 steigen kann.
  • die dann doch notwendige Therapie oft aufwendiger ist: Bei einer Radikaloperation kann dies die Notwendigkeit einer Nachbestrahlung bedeuten, bei einer Seedimplantation die Notwendigkeit der Kombination ebenfalls mit einer Außenbestrahlung und bei einer alleinigen Außenbestrahlung die Notwendigkeit einer zusätzlichen Hormontherapie.
  • durch eine aufwendigere Therapie auch mit stärkeren Nebenwirkungen zu rechnen ist.
Unser Fazit: 
Anfang der 2000er-Jahre ist die Aktive Überwachung eine ernstzunehmende Alternativstrategie gewesen; vor allem, weil die Standardverfahren wie Radikaloperation oder externe Bestrahlung damals nochmals deutlich nebenwirkungsreicher waren als heute.
Inzwischen steht vor allem mit der LDR-Brachytherapie eine viel schonendere, den Patienten viel weniger belastende Therapieoption zur Verfügung, die gleichzeitig sehr effektiv ist.
Eine Aktive Überwachung sollte daher - wenn überhaupt - nur für einen kürzeren Zeitraum (bis zu einem Jahr) erfolgen oder bei Patienten erfolgen, die aufgrund von konkreten schweren Vorerkrankungen eine Lebenserwartung von weniger als fünf Jahren haben.

Unserer Meinung nach wird in Zukunft die für einen früherkannten Krebs bessere Alternative (neben der LDR-Brachytherapie als optionale Standardtherapie der gesamten Prostata) die Fokale Therapie des Haupttumors sein; nach dem Grundsatz: den Haupttumor in der peripheren Zone behandeln, das unauffällige Areal in der Prostata beobachten.
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